Robert Messer
Der Co-Präsident der Musikgesellschaft Kölliken im Interview
Das internationale Zeichen, wenn eine sehbehinderte Person die Strasse überqueren will. zvg
Seheingeschränkte Fussgängerinnen und Fussgänger müssen blind darauf vertrauen, dass alle Verkehrsteilnehmenden auch ohne Fussgängerstreifen richtig reagieren, wenn sie über die Strasse wollen.
Wissen Sie, dass sehbehinderte und blinde Menschen mit ihrem Weissen Stock beim Überque-ren einer Strasse vortrittsberechtigt sind? Zumindest denjenigen mit Fahrausweis sollte bekannt sein, dass in einer solchen Situation alle Verkehrsmobile jederzeit anhalten müssen. Die Schweizerische Verkehrsregelnverordnung (VRV) Art. 6 Abs. 4 besagt seit 1962: "Unbegleiteten Blinden ist der Vortritt stets zu gewähren, wenn sie durch Hochhalten des weissen Stockes anzeigen, dass sie die Fahrbahn überqueren wollen."
Das Ignorieren des Weissen Stockes ist nicht durch den Ordnungsbussenkatalog abgedeckt. Das Missachten dieser Regel führt direkt zu einer schriftlichen Anzeige und einem Strafverfahren.
Der heutige Verkehr ist bereits für gut Sehende eine Herausforderung. Er ist schneller, vielfälti-ger und dank Hybrid- und reinen Elektromotoren auch leiser und dadurch gefährlicher gewor-den. Nebst Autos gibt es auch zunehmend mehr Velos, Scooter, Trottis und das alles mit und ohne Elektroschub. Wenn seheingeschränkte Menschen mobil sein wollen, brauchen sie nicht nur einen ausgebildeten Tastsinn und ein gutes Gehör, sondern auch gute Nerven. Sie müssen den Gang über die Strasse wagen, ganz ohne Blickkontakt zu den Fahrzeuglenkenden und ohne Handzeichen. Es braucht für sie enorme Konzentration, sich zu orientieren. Akustische Signale und Geräusche von Fahrzeugen, Baustellen etc. lassen Gefahren erkennen und weisen den Weg. Auch das Erinnerungsvermögen verhilft zusätzlich zur autonomen Mobilität. Nichts-destotrotz: sehbehinderte und blinde Personen sind auf die Respektierung des Vortrittsrechts angewiesen - sie müssen blind vertrauen!
Wie also reagieren, wenn eine blinde Person am Strassenrand steht und den Stock hochhält?
Nicht winken, nicht hupen, nahe genug an die wartende Person heranfahren, wie bei an-deren querenden Personen auch, den Motor nicht abstellen. Bitte einfach warten, bis die blinde Person die Strasse ganz überquert hat und erst dann weiterfahren.
Verkehrsregeln werden den Lernfahrenden im obligatorischen Verkehrskundeunterricht (VKU) beigebracht. Wird hier die Regel «Weisser Stock = Vortritt» auch explizit durchgenommen?
Auf Anfrage sagt Peter De Cristofaro vom Fahrschul-Center «De Cristofaro + Martin» in ZH Oerlikon: «Die Lernfahrenden, die ja eben erst die Theorieprüfung und den VKU ab-solvierten, haben diese Regel dort kennengelernt. Aber es kommt vor, dass sie bei einigen wieder vergessen geht. Zum Glück hilft dann aber der gesunde Menschenverstand, wenn so eine Situation eintritt. Auch Lernfahrende, die sich an diese Vorschrift nicht mehr erinnern, gewähren von sich aus der Person den Vortritt.»
Roger Wintsch, Präsident des Aargauer Fahrlehrerverbands AFV meint dazu: «Obligatorisch sind acht Lektionen Verkehrskundeunterricht. Bei uns zählen Blinde zur Gruppe ‘hilfsbedürftige Partner’. Der ungefähre Zeitrahmen im Unterricht, in dem diese Personengruppe behandelt wird, beträgt fünf bis maximal 15 Minuten. Ungefähr, weil jede Fahrlehrerin oder jeder Fahrlehrer in der zeitlichen Gestaltung ihres Unterrichts gewisse Freiräume besitzt.»
Eine Umfrage im Juni 2024 bei zweiundzwanzig Fahrlehrerinnen und Fahrlehrern des Aargauer Fahrlehrerverbandes, welche alle zwischen 5 und 33 Jahre Berufserfahrung vorweisen, zeigt, dass fast alle schon einmal von dieser Verordnung gehört haben. Nur ein einziger schrieb hier ein «Nein» hin. Im Verkehrskundeunterricht wird die Vortrittsregel stets behandelt. Bei den Fahrstunden selbst bei 19 der 22 Lehrerinnen und Lehrern.
Auf die Frage: «Ist es während der Fahrstunden schon passiert, dass eine blinde Person die Strasse überqueren wollte?», kamen die Antworten: 10 x Nein, 12 x Ja - davon 2 x oft, 3 x wenig und einer meinte, dass er es dann jeweils grad zum Thema macht.
Und die Rückmeldungen auf «Wissen Ihrer Meinung nach alle Autofahrenden Bescheid über diese Verkehrsregelung?» waren: 16 x Nein, 5 x Ja, 5 x die meisten: 1 x nicht sicher.
Zusätzliche herauszuhebende Bemerkungen an dieser Stelle sind:
- Nein, ich denke, die Jungen nicht.
- Ich finde Sensibilisierung gut, vor allem die schwierige Situation mit Elektrofahrzeugen.
- Mehr Sensibilisierung wäre sinnvoll. Viele Fahrlehrer kennen das gar nicht.
- Dazu wird die Situation anspruchsvoller, infolge der nicht hörbaren Elektrofahrzeuge!
- Das partnerschaftliche Verhalten geht im Verkehr immer mehr verloren. Dadurch kommt es immer häufiger zu gefährlichen oder kritischen Situationen.
- Insbesondere die taktilen Bodenmarkierungen kennt praktisch niemand.
Wir haben zugleich vier Lernfahrende befragt, welche kurz vor der Fahrprüfung stehen: Lena (18), Ilona (17), Tigest (17) und Carl-Anton (24). Sie alle haben in der Lern-App für die Theo-rieprüfung eine Frage zu dieser Verkehrsregelnverordnung gehabt. Sie wissen, was zu tun wäre.
In der Praxis ist bis jetzt aber noch bei niemandem ein solcher Vortrittsfall vorgekommen. Mit dem Fahrlehrer selbst wurde es auch (noch) nicht thematisiert. Aber alle versichern uns, dass sie garantiert halten werden, wenn jemand mit dem Weissen Stock am Strassenrand steht!
pd
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