Nik Hartmann
führt als Erzähler durch die Rocky Horror Show im Theater 11 Zürich
Ruth Kremer-Bieri.
Bild: Adrian Oberer
Demenz ist für viele Menschen in der Schweiz eine traurige Realität – und die Zahlen nehmen täglich zu. Ein Demenz Simulator in Zofingen soll die Angehörigen von Betroffenen für deren Situation sensibilisieren und für mehr Verständnis sorgen.
Zofingen Als «Krankheit des Vergessens» benannte ein deutscher Psychiater eine bisher unbekannte Erkrankung, die er 1901 bei seiner Patientin Auguste Deter feststellte. Deter wurde von ihrem Ehemann in die «Anstalt für Irre und Epileptische» in Frankfurt am Main eingewiesen. Sie leide unter Wahnvorstellungen, sei plötzlich unerklärlich eifersüchtig geworden und könne selbst einfachste Arbeiten im Haushalt nicht mehr erledigen. Der Name des behandelnden Psychiaters: Alois Alzheimer.
Das erst 1996 in einem Archiv entdeckte Krankenblatt von Auguste Deter gilt als erste Dokumentation der heute als «Morbus-Alzheimer» oder «Alzheimer-Demenz» bekannten Krankheit. Dessen Entstehung gilt gemeinhin auch als Startschuss für die Erforschung dieser und weiterer neurodegenerativer Krankheiten. Denn werden Alzheimer und Demenz im Volksmund oft synonym verwendet, handelt es sich bei Alzheimer um nur eine von rund fünfzig Krankheiten, die unter den Oberbegriff Demenz fallen.
Trotz jahrzehntelanger Forschung sind Demenz-Erkrankungen bis heute nicht heilbar. So leben in der Schweiz 2024 gemäss Zahlen von «Alzheimer Schweiz» gut 156'000 Menschen mit Demenz, alle 16 Minuten erkrankt eine weitere Person. Mit der zunehmenden Lebenserwartung steigt auch die Warscheinlichkeit, dass man selbst oder eine Person im näheren Umfeld an einer Demenz leidet – denn der grösste Risikofaktor ist hohes Alter.
Verlangt die Krankheit schon den Betroffenen viel ab, ist der Umgang damit auch für die Angehörigen schwierig. Ein vom 31. Oktober bis 3. November von der Zofinger Alterskommission im Reformierten Kirchgemeindehaus angebotener Demenz-Simulator hatte zum Ziel, Angehörige von Demenz-Kranken zu sensibilisieren und ein besseres Verständnis für Betroffene zu entwickeln.
Der Demenz-Simulator besteht aus dreizehn Posten. Jeder behandelt eine andere Alltagssituation, die gesunde Menschen meistern, ohne darüber nachzudenken – vom Kleider anziehen nach dem Aufstehen über das Kochen und Essen bis hin zum Zurechtfinden in der eigenen Stadt.
«Die Teilnehmer sollen merken, wie aggressiv man wird, wenn einfachste Tätigkeiten plötzlich nicht mehr funktionieren», erklärt Ruth Kremer-Bieri von der Alterskommission, deren Mitglieder den Simulator betreuten. Ein gutes Beispiel dafür liefert den Teilnehmenden der erste Posten sogleich: Die Aufgabe besteht darin, eine Schürze anzuziehen und zuzuknöpfen – allerdings müssen dabei Gartenhandschuhe getragen werden.
Dadurch soll der oft altersbedingte Verlust von feinmotorischen Fähigkeiten simuliert werden. Erschwerend dazu kommen kann, dass mit einer DemenzErkrankung oft die sogenannte Apraxie einhergeht. Apraxie bezeichnet die Unfähigkeit, Aufgaben zu bewältigen,für die Bewegungsmuster oder -abläufe aus dem Gedächtnis abgerufen werden müssen. Bereits nach wenigen Minuten des schwerfälligen Rumfummelns an den filigranen Knöpfen sehen sich dann auch die meisten Teilnehmer zur Aufgabe gezwungen.
Ein wiederkehrendes Motiv sind auch Spiegelboxen. Eine Aufgabe lautet beispielsweise, mit Messer und Gabel farbige Papierkugeln (als Ersatz für das Mittagessen) auf drei Teller zu verteilen. Nur sieht man dabei halt alles spiegelverkehrt. Im Selbstversuch merkt man, wie mühsam es ist, sich bei sonst automatisch erledigten Aufgaben auf jede Bewegung achten und konzentrieren zu müssen.
«Es ist nicht das Ziel, dass man die Aufgaben an den Posten problemlos lösen kann», ergänzt Kremer-Bieri. So sei zum Beispiel bei einem Posten, bei dem man sich eine Route auf einer Stadtkarte einprägen und diese anschliessend aus dem Kopf auf eine leere Karte übertragen muss, absichtlich eine falsche Lösung auf der Prüfschablone eingezeichnet. Das soll die Teilnehmenden die Unsicherheit spüren lassen, wenn man sich ständig hinterfragen muss oder einem die Angehörigen sagen: «Mama, bis jetzt hast du doch den Weg zu mir auch immer gefunden.»
Rund 60 Personen seien am Eröffnungsabendanwesendgewesen,wie Ruth Kremer-Bieri berichtete. Viele Besuchende waren dankbar für die ganz praktische Erfahrung, dass das Bewältigen des Tagesablaufs für an Demenz Erkrankte eine riesige Herausforderung sein muss.
Von Adrian Oberer
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