Andreas von Arx
Der Rothrister Feuerwehr Kommandant im Interview
Ringier und Zofingen – das war einst ein Herz und eine Seele – getreu dem Duo Reporter Ringgi und Dackel Zofi. Diese Abenteuerliteratur aus dem Hause Ringier ist ebenso legendär wie etwa das «Gelbe Heft», die Schweizer Illustrierte oder die Boulevardzeitung Blick. Ringier war einst der grösste Schweizer Verlag. Mit der Schliessung kommen natürlich auch bei den HeHaHo-Leuten alte Erinnerungen hoch. Das Verständnis hält sich in Grenzen.
Zofingen Der Zufall wollte es, dass zwei ehemalige Chefredaktoren aus dem Hause Zofinger Tagblatt – Markus Schenk (Ex-Redaktions- und Verlagsleiter beim Landanzeiger) und Bruno Muntwyler (Ex-Chefredaktor des Wiggertalers) – zur selben Zeit in die Firma Ringier eintraten, um eine vierjährige Schriftsetzerlehre zu absolvieren. Damals noch im Bleisatz arbeiteten wir in hellblauen Schürzen gekleidet im «Bergwerk».
Einem Mann galt während allen vier Jahren unser höchster Respekt: HeHaHo. Noch heute besteht die Vereinigung ehemaliger HeHaHo-Stifte. Eingeweihte wissen natürlich, was HeHaHo bedeutet: Herr Hans Hottiger (Vater des ehemaligen Zofinger Stadtammanns Hans-Ruedi Hottiger). Er war über Jahrzehnte der Schriftsetzer-Lehrlingsboss der Firma Ringier. In diesem Jahr wird unser grosses Vorbild 100 Jahre alt! Dass er so alt wird, hat wohl auch mit unserer Pflegeleichtigkeit zu tun.
Zu feiern gab es damals (anfangs der 70er Jahre) wenig. Der einzige feierliche Akt war jeweils das Weihnachtsessen in der nahe gelegenen Zofinger Mehrzweckhalle. In Scharen pilgerten die Arbeiter dorthin, denn es wurde eine beliebte Zofinger Ur-Mahlzeit serviert: Ein Wurstweggen und ein Getränk gab es obendrein gratis. Ach, wie grosszügig! Wer mehr wollte, musste bezahlen. Haben die Kaderleute und späteren Millionäre und Milliardäre wohl auch dieses Weihnachtsmenü gegessen, frage ich mich heute? Wohl kaum.
Und wenn wir schon beim Essen sind, fällt mir die damalige Kantine ein, in der wir ein warmes Mittagessen für 2.80 Franken geniessen durften. Für unseren Stiftenlohn war das schon viel.
Apropos Lohn: Das gelbe Kuvert mit Inhalt holte man im 2. Stock jeweils im Lohnbüro ab. Zusätzlich bekam jeder Angestellte drei Zeitschriften. Da war ein Mann mit einem Postwagen, der nichts anderes zu tun hatte, als allen Angestellten die Gratiszeitschriften auszuhändigen. Einige ganz «schlaue» Zeitgenossen verkauften die Zeitschriften am Abend zu einem Spezialpreis in der Stadt. Vor allem die Wirtsleute in Zofingen profitierten damals enorm von den Ringier-Leuten.
Am Abend sass man noch bei einem Bier zusammen – im Jägerstübli, im Raben, «bem Buume», in der Schützenstube, im Federal, im Plätzli usw. Eine Serviceangestellte fragte da einst meine Kollegen: «Darf der Kleine auch schon Bier trinken?». «Wenn ich schon arbeite, darf ich danach auch ein Bier trinken», lautete meine logische Antwort.
Sozial gesehen war die Firma Ringier zumindest damals vorbildlich. Da gab es Mitarbeiter, welche nie und nimmer in einer rentablen Firma hätten beschäftigt werden können. Ringier hatte da ein gutes Herz. Auch wenn einer nur das Znüni für die anderen besorgte, war das doch ein verantwortungsvoller Job. Solche Leute mussten sich auch nicht bewerben. Man begab sich jeweils am Montagmorgen in den Vorraum des Portiers. Da waren immer 10 bis 20 Personen. Dann kam der Personalchef und fragte was man arbeiten wolle. Für die meisten liess sich ein «Jöbli» finden.
Ich wollte einst in den Schulferien etwas dazu verdienen und bat dort ebenfalls um einen Job. Ich hatte Glück, wurde doch soeben ein Kalender produziert. Ich sass am Laufband und musste immer «den August» darauflegen. Wenn man Glück hatte, konnte man einmal den Monat wechseln. Musste man auf die Toilette, galt es sein Geschäft schnell zu erledigen, denn alle anderen warteten.
Apropos WC: Da gab es strenge Sitten, wurden doch sogenannte «Schiissimarken» abgegeben. Wie viele ich pro Woche erhielt, weiss ich nicht mehr, auf jeden Fall zu wenig. Da reichte es nicht mehr zum «Heftli» lesen oder gar um zu rauchen. Das Rauchen auf den Toiletten wurde eines Tages sowieso verboten. Es gab neu sogenannte Raucherecken. Stumpenraucher verbrachten dort gut einmal eine halbe Stunde.
Wir «Stifte» hatten da nichts zu bestellen. Am ersten Lehrtag kam ich auf die Welt. Ich dachte mir, ich sei nun ein ebenbürtiger «Büezer», der den anderen Arbeitern du sagen konnte. Da lief ich aber voll in den Hammer, so dass ich künftig auf der Sie-Schiene landete. Immerhin gab es da einige ausgelernte Personen, mit denen wir schon per du waren. Beispielsweise ein Walliser Korrektor der Illustré, der da eigentlich nur hobbymässig arbeitete. Abends und am Wochenende agierte er als Weinhändler. Bruno und ich durften seine Weinetiketten kreieren und für einen kleinen Zustupf drucken.
Mit den hochrangierten «Ringieranern» hatten wir wenig zu tun, denn die waren irgendwie sowieso abgehoben. So fuhr jeweils Direktor Dr. Oswald im Rolls Royce chauffiert vor, während wir am Fenster nur den Kopf schüttelten. «Nobel muss die Welt zu Grunde gehen», dachte ich mir damals. Dass es dereinst zu einer Schliessung dieses einstigen Vorzeigeunternehmens in Zofingen kommt, hätte ich damals nie gedacht.
Gedanken über das Geschäftsgebahren in den letzten Jahrzehnten haben wir uns auch gemacht. Der schleichende Auszug aus Zofingen begann schon vor Jahrzehnten. Da waren zuerst die Redaktionen, welche hauptsächlich nach Zürich abgezogen wurden. Das Personal in Zofingen schrumpfte mehr und mehr. Die Swissprinters wurde gegründet – kein reines Ringier-Unternehmen mehr – und keine Zofinger DNA mehr.
Natürlich verändert sich die Zeit – aber wie heisst es doch so schön: Man muss mit der Zeit gehen, sonst geht man mit der Zeit! Da wurden mit Bestimmtheit auch Fehler begangen, über die man heute grosszügig hinwegsieht. Einst so starke Publikationen wie etwa Ringiers Unterhaltungsblätter (das «Gelbe Heft»), die Schweizerische Allgemeine Volkszeitung (früher im Volksmund «rote Zeitung» genannt), Blatt für alle usw. existieren nicht mehr.
Die Frage sei erlaubt, ob man diese Publikationen nicht hätte in die Neuzeit retten können? War es richtig mit der Glückspost und der Schweizer Illustrierten reine People- und Promi-Homestoryblätter herauszugeben? Das interessiert die Jungen heute kaum mehr. Und ist der Blick für eine Boulevardzeitung nicht zu brav? Früher war das anders: Da meldete man den Tod des Papstes schon einen Tag vor dessen Ableben! Hat der richtige Ringier-Mann die Firma übernommen. Christoph Ringier war da einiges volkstümlicher und in Zofingen sehr gut vernetzt.
Was wollen wir jetzt dies und jenes kritisieren? Wir haben in diesem Haus «nur» unser Handwerk gelernt. Und bekanntlich machten wir später auch ohne die Ringier unseren Weg. Die Lehrzeit im «Bergwerk» war spannend und an den Treffen der noch lebenden HeHaHo-Stiften werden jeweils zahlreiche Anekdoten von damals zum Besten gegeben, die die Ringier wieder aufleben lassen. Böse Zungen behaupten, dass es der Ringier schlechter ging, seit wir nicht mehr an Bord sind!
Markus Schenk
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